Die Diagnose

 

Zum ersten mal besuchte ich einen Arzt, Neurologen, der mit dieser Krankheit leider nicht sehr vertraut war. Er machte mir Mut, dass es eventuell eine Stoffwechselerkrankung sein könnte. Paar Tage der Hoffung. Doch all das hoffen brachte nichts. Diagnose-Anorexia. Wie ein schlag brach meine Welt zusammen. Auch wenn ich tief im inneren damit rechnen hätten müssen, ist es ein unterschied wenn man es knall auf fall gesagt bekommt. Durch ihn bekam ich noch mehr Angst. Ich kann mich noch genau an seine Worte erinnern: „So schlimm sei es noch nicht" oder der Wortlaut; "Fang einfach wieder an zu essen, dann wird es dir auch wieder besser gehen." Tolle Ratschläge für ein verängstigtes Mädchen, das eigentlich nicht zunehmen, sondern gesund werden will. Ich war damals der Annahme ich könnte gesund werden ohne nur ein Kilogramm zuzunehmen, doch so ist es nicht. Doch der erste Wortlaut von ihm, dass es noch nicht so schlimm mit meinem Zustand sei, hieß für mich, dass ich noch zu Fett war. Wie kann man zu einer Essgestörten sagen, dass man noch nicht genug gehungert hat. Ich musste noch mehr abnehmen und erst dann würde man mich ernst nehmen und mir tatsächlich aus meiner Lage helfen. Ich war sichtlich schockiert von seiner Aussage. Als wenn die Diagnose nicht schon schlimm genug gewesen war. Nein, er musste mir noch oben drauf ein schlechtes Gewissen machen, das ich sogar zum Hungern mich zu blöde anstelle. Doch beim nächsten besuch werde ich ihn zeigen, wie gut ich in wirklichkeit auf meinem Gebiet bin.

 

Ich sah den tatsachen in den Augen

 

Langsam versuchte ich wieder wenigstens Wasser zu mir zu nehmen, doch schon ein Glas war mir zuviel.
Mein Körper konnte diese „Menge" nicht mehr so einfach aufnehmen. Mein Magen war zu klein. ZU KLEIN FÜR 1 GLAS WASSER!!! Mein Bauch blähte sich auf und ich hatte große Schmerzen. Ich fühlte regelrecht wie sich mein Magen sich langsam ausdehnte.

Ich sah in den Spiegel und sah diesen runden, vollen Bauch. DICK, FETT und einfach ekelerregend. Sofort sauste ich zur Waage und hatte um 200 Gramm mehr!!!
Das war ein Weltuntergang. Eine Niederlage gegen mich selbst. Ich hatte nachgegeben und hasste mich dafür. Ich war schwach. Schwach und hässlich. Essen und Trinken bedeuteten Schwäche!

Meine Gedanken kreisten nur noch ums Essen. Ich dachte an all die Dinge, die ich früher in mich hineinstopfte und war traurig, dass ich all dies nie mehr essen dürfe. Oft wachte ich Nachts schweißgebadet auf, weil ich träumte, dass ich etwas gegessen hatte. Eine furchtbare Vorstellung.

Ich tat das, weil ich wusste sie könnten essen ohne so zuzunehmen wie ich. Sie waren nicht dick – ich war es!! Das ist das wesentliche Problem dieser Krankheit. Diese VERDAMMTE Selbsttäuschung!!!!

Endlich kam ein Punkt an dem ich selbst merkte, dass irgendwas mit mir nicht stimmen kann. Auf der einen Seite fühlte ich mich zu dünn, Minuten später war es in Ordnung.
Ja, es war alles in Ordnung, oder etwa doch nicht?!! Wenigstens war ich mit 44kg soweit zu sagen: „Okay, jetzt hast du eine normale Figur, du brauchst nicht mehr abnehmen!". Dennoch freut sich eine Magersüchtige über jedes Gramm dass sie trotzdem abnimmt.

Im Internet laß ich über Magersucht und die Symptome und plötzlich machte es KLICK: ICH BIN MAGERSÜCHTIG!!!!

Nun, ich hatte eingesehen, dass ich magersüchtig war. Okay, und weiter??? Was bedeutete das nun für mich?
Um wieder gesund zu werden brauchte ich doch bloß wieder anfangen „normal" zu essen. Zuzunehmen ist doch nicht schwer! Doch das ist ein enormer Irrtum.

Um das zu begreifen, muss man erst einmal verstehen, dass Magersucht nicht sehr viel mit Essen zu tun hat. Magersucht ist eine psychische Krankheit, die sich durch Essensverweigerung äußert, doch das Essen an sich hat nichts damit zu tun!
Magersüchtige werden nicht gesund, indem sie einfach wieder zunehmen. Ich kann gar nicht sagen wie oft mich die Leute fragten, weshalb ich nicht endlich wieder anfing zu essen. Und das machte mich noch mehr krank, denn sie verstanden gar nichts!!

Außenstehende müssen begreifen, dass man erst geheilt werden kann, wenn die Auslöser dieser Krankheit geklärt und aus dem Weg geschafft worden sind. Es ist nicht leicht diese Auslöser zu finden. Magersüchtige wissen selbst nicht, weshalb sie sich und ihrem Körper das alles zumuten. Sie denken einfach sie wären zu dick, doch das ist es nicht. Man muss die Hintergründe erkennen und sie beseitigen.

Auch ich kannte diese Hintergründe zu dem Zeitpunkt noch nicht.


Viele Leute denken, dass eine Magersüchtige, die sich einsichtig zeigt, schon wieder fast geheilt ist. Der Zweite große Fehler!
Ich will nicht abstreiten, dass dies ein wichtiger Punkt ist, doch man vergisst dabei eins: Die Magersucht IN der Person!